Frank Leder ist das große Geheimnis der deutschen Mode. Das ist auch so gewollt, wie er bei einem Patschuli Old Fashioned verrät.
Gehöre nicht auch eine Kirsche in einen Old Fashioned, fragt Frank Leder, als er den Tumbler in der Hand schwenkt? „Wie es der Zufall so will, hätte ich da nämlich ein paar zur Hand.“
Es sind aber nicht irgendwelche Kirschen, die er daraufhin präsentiert, sondern Kirschen aus Einmachgläsern, die in einem Land versiegelt wurden, das es heute nicht mehr gibt: der DDR. 150 dieser Gläser hat er vor Jahren in Leipzig bei Gegenstände Haussner gekauft, einer nicht mehr existierenden Mischung aus Trödler und Galerie, dessen Warenbestand aus alten Beinprothesen, Totenköpfen, mechanischen Greifarmen oder ausgestopften Tieren bestand. „Es hat mich bewegt, dass die Gläser für die meisten Menschen keinen Wert hatten“, erinnert sich Frank Leder.
In dieser Anekdote liegt viel, was Frank Leder ausmacht: sein Denken, sein Handeln, seine Neugier, sein Instinkt, seine Suche nach Orten, Gegenständen und Menschen. Im allgemeinen ist der gebürtige Franke als Modesdesigner bekannt – oder auch nicht bekannt, wenn man so will. In Deutschland gibt es kaum Läden, die seine Mode führen, jedoch in den USA und vor allem in Japan, wo andere, die die gleiche Präsenz hätten, sich als Star bezeichnen würden. Das Goethe-Institut hat ihn als einen der zehn einflussreichsten deutschen Modedesigner aufgeführt, auf einer Liste, die auch Karl Lagerfeld beinhaltet.
„Ich nehme Versatzstücke aus der Vergangenheit und übersetze sie durch den Schnitt. Alles andere wäre auch eine alberne Kostümierung“
Nun kann man sich aber kaum vorstellen, dass Karl Lagerfeld zwischen alten Prothesen und Tierpräparaten in Leipzig herumschleicht. Frank Leder macht solche Dinge schon. Irrsinnig gerne sogar. Denn das sind die Geschichten, mit denen er seine Arbeit auflädt. Er interessiert sich für Gegenstände, die die Zeit überdauern, für Objekte und deren eventuell zweites, drittes oder viertes Leben. Jeder Knopf auf einem seiner Sakkos, Hosen, Mäntel oder Hemden seiner Kollektionen ist ein Original aus den 1920ern bis 1950ern. Seine Mode spielt mit alten Zünften und Uniformen, interpretiert sie elegant in die Neuzeit. Frank Leder hat eine klare Handschrift.
„Ich nehme Versatzstücke aus der Vergangenheit und übersetze sie durch den Schnitt. Alles andere wäre auch eine alberne Kostümierung“, beschreibt der Sohn eines Architekten seine Philosophie. Die Stoffe, mit denen er arbeitet, stammen aus Deutschland und werden in der Nähe von Berlin verarbeitet. Seit seinem Umzug aus London, wo er das Central Saint Martins College of Art and Design absolviert hat, nach Berlin 2002 arbeitet und denkt er regional; also seit einer Zeit, als das Wort regional noch dem Kartennetz der Deutschen Bahn vorbehalten war.
Es geht Frank Leder nicht nur um das Besondere, sondern um die Mühe, die man für das Besondere auf sich nehmen muss. Das führt schon mal dazu, dass er in Armenien nach der Arche Noah sucht oder in Ägypten nach der mythischen, ausgestorbenen Pflanze Silphium gräbt. Für die Präsentation einer Kollektion lud er seine Einkäufer einst in das Geburtshaus seines Vaters in ein kleines Dorf im tschechischen Böhmen. Wie viele sind der Einladung gefolgt? „Keiner“, sagt er, und es erfolgt sein typisches, raumfüllendes Lachen.
Ein sich stets für das Neue begeisternder Mensch wie Frank Leder betrachtet das, was die meisten Menschen ablehnen, aus diesem Grund erstmal genauer. Daher steht in seinem Atelier eine kleine Flasche, in der längliche, weiße Blätter schwimmen, die an eine Art Farn erinnern: Es ist Patschuli, den er für ein Mazerationsprojekt aus Sri Lanka und Indien geordert hat. „Leider sind alle eingegangen. Dieser hier ist in Shōchū eingelegt. Den Geschmack habe ich zwei Tage nicht von der Zunge bekommen“, beschreibt er den Inhalt.
Patschuli ist natürlich ein Duft, der die Geister scheidet. Es hat einen sehr einprägsamen, würzigen und doch staubigen Geruch – und vor allem ist dieser alles andere als unaufdringlich. Bekannt geworden als Hippieduft in den 1960ern und daraufhin der esoterischen Bourgeoisie sowie der Gruftie-Subkultur überlassen, lieben ihn die einen, während in die anderen großräumig umgehen. Und wenn alle etwas großräumig umgehen: Dann fängt es für Frank Leder an, interessant zu werden.
Wir haben für unseren Patschuli Old Fashioned weder Patschuliblätter eingelegt noch Frank Leders Todesmazeration benutzt, sondern die von Arnd Henning Heissen entwickelte Serie Botanical Fusion verwendet. Heissen, Barchef des Berlin Ritz-Carlton, ist bekannt für seinen Glauben an die Aromatherapie. Patschuli stehe dabei für Menschen, denen Authentizität und Geselligkeit wichtig seien, und wenn man das auf Frank Leder umlegt, dann stimmt das. Frank Leder ist gerne unter Menschen, und er ist vor allem gerne unter Menschen, die nicht vorgeben, etwas zu sein, was sie nicht sind. Kontemplative Momente sind wichtig für Ideen; aber deren Fundament ist Geselligkeit, das Aufnehmen und Aufsaugen.
Eben das Einlassen auf Gedanken anderer. Oder eben auf Getränke. „Zuerst habe ich den Patschuligeschmack nicht bemerkt, aber jetzt allmählich kommt er“, stellt Frank Leder fest. Diese verzögerte Wahrnehmung liegt daran, dass wir die Patschuliessenz in den Zuckersirup infusioniert haben und der Patschuligeschmack erst über den Gaumen rollt, wenn der Alkoholgehalt des Rye Whiskeys in die zweite Reihe zurücktritt. Das dauert einige Sekunden. „Old Fashioned ist ja so etwas wie ein Testdrink für eine Bar: Wenn er passt, kann man sich auch auf den Rest verlassen“, so Frank Leder. „Diesem Patschuli Old Fashioned würde ich vertrauten.“
In einer seiner jüngeren Kollektion hat Frank Leder alte Schlüssel in jedes einzelne Teil einnähen lassen. In den meisten Fällen sind es einfach alte Schlüssel, aber einer dieser versteckten Schlüssel öffnet eine Kiste in seinem Atelier, in dem er Souvenirs aus all seinen bisherigen knapp vierzig Kollektionen angeordnet hat.
„In Japan, dieser weit entfernten Insel, die im Westen meist nur als Klischee ankommt, ist Frank Leder – ironischerweise – einfacher zu verstehen.“
Es waren schon ein paar Hoffnungsvolle da, aber gepasst hat noch keiner. Der richtige Schlüssel ist also noch irgendwo da draußen, und die Wahrscheinlichkeit, dass er sich auf japanischem Boden befindet, ist hoch. Es steht auch immer mal wieder ein japanischer Gast an der Tür, seit es den 2. Stock, den im Atelier integrierten Verkaufsraum, gibt. In Japan, dieser weit entfernten Insel, die im Westen meist nur als Klischee ankommt, ist Frank Leder – ironischerweise – einfacher zu verstehen. Dort wird er nicht durch den Blick der Geschichte wahrgenommen. Die Auseinandersetzung mit der deutschen Identität, die er in seiner Mode betreibt, ist auf den ersten, flüchtigen Blick nicht immer klar erkenntlich, und wer auf seiner Homepage in einer Art fetter Kurrentschrift empfangen wird, muss möglicherweise erstmal schlucken. Vor allem in Zeiten wie diesen.
Nichts, freilich, liegt Frank Leder ferner als Deutschtümelei. Der deutsche Wald, die deutsche Eiche – es sind Begriffe, mit denen er arbeitet, sie entstaubt oder reaktionären Ideologien entreißt, wie etwa in seiner Seifenserie Tradition. Das muss man sich schon trauen. „Diese Begriffe wurden von den Nazis gestohlen. Ich finde, man sollte den Rechten nicht die ganze deutsche Kultur überlassen“, ist das Kriterium von Frank Leder, Enkel eines Preisboxers, der mit Max Schmeling im Sparring-Ring stand.
Dabei belässt er es jedoch nicht nur bei Kleidung. Unter dem Label Fundament arbeitet er seit Jahren in unregelmäßigen Abständen mit dem österreichischen Musiker Florian Horwath zusammen, soeben haben sie in Wien ein altes Antiquariat in der Gumpendorfer Straße zu einem experimentellen Raum und Shop umgebaut. Der Name: Kammer zur Erdung essentieller Gegenstände. Und wer sich die brutal lokale Küche des Nobelhart & Schmutzig gönnt, wäscht sich brutal aromatisch die Hände mit der Roter Presssack-Seife von Frank Leder. Da er auch die Arbeitskleidung für das Restaurant ernst des jungen Kanadiers Dylan Watson-Brawn entworfen hat, weht der Geist von Frank Leder somit durch die zwei mutigsten Restaurants der Hauptstadt.
Kein Wunder also, dass so jemand vor potentiell gesundheitsgefährdenden Einlegkirschen, die möglicherweise älter sind als man selbst, nicht zurückschreckt. Schließlich geht es Frank Leder um das Gefühl, wie lange Dinge die Zeit überdauern, und um die Frage, was Wert bedeutet und wie er definiert wird – und warum die Kirschen jetzt, genau jetzt, in diesem Augenblick, in einem Glas landen. Hier kommt für einen Augenblick zusammen, was er vor Jahren gefühlt hat, als er 150 Einmachgläser in seinen Wagen geschleppt hat: Man muss sich auf etwas einlassen, auf etwas Altes, um permanent Neues zu schaffen.
Besser lässt sich die Arbeit von Frank Leder, diesem großen Geheimnis der deutschen Mode, vielleicht nicht beschreiben. Und trinken auch nicht.