Diana Arce versteht die Welt. Nicht mehr.

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Für Diana Arce sind Politik und Kunst untrennbar miteinander verbunden. Warum sie deswegen einige Tage Schmidt hieß, besprechen wir bei einem Two Rabbits.

Diana Arce starrt auf den Bildschirm. „Wie zum Teufel kann man so eine Entscheidung verteidigen?“ Auf dem Monitor zu sehen sind Ai Weiwei und Alice Weidel. Wenige Tage vor unserem Besuch bei Diana Arce hatte die AfD-Politikerin ein Bild auf Twitter veröffentlicht, auf dem sie mit dem chinesischen Künstler abgebildet ist. Die beiden hätten im selben Restaurant in Berlin gegessen, oder wie es Weidel in nahezu teeniehafter Schwärmerei in ihrem Post ausdrückt: „#AiWeiwei ist in der Hauptstadt!!!! Ich hätte mich fast nicht getraut, ihn nach einem Selfie zu fragen ;-)“

Ein Künstler, der Migrationsthemen in den Fokus seiner Arbeit stellt und sich in der Pose eines toten Flüchtlingskindes am Strand ablichten lässt, und eine Politikerin, deren Partei den Hass auf Migranten schürt, friedlich lächelnd auf einem Selfie vereint – ein Foto, das die entrückte Welt, in der wir leben, ziemlich gut auf den Punkt bringt. Er glaube nicht, so Ai Weiweis Erklärung zu dem gemeinsamen Selfie später, dass gegensätzliche politische Anschauungen oder Werte ein Hindernis für Kommunikation sein sollten, er kämpfe vielmehr dafür, diese Grenzen einzureißen.

„Das sagt sich leicht, wenn man jede Menge Privilegien hat. Ich habe von ihm noch nie viel gehalten“, winkt Diana Arce ab. „Bis jetzt habe ich als Beweis immer ein Foto von ihm und Paris Hilton verschickt, wenn mich jemand vom Gegenteil überzeugen wollte. Mit diesem Foto hier kann ich noch eins drauf setzen.“

Die CIA habe im Kalten Krieg mit Millionenbeträgen heimlich amerikanische Expressionisten gefördert, so Diana Arce weiter, um US-Kunst als Zeichen intellektueller Freiheit und Kreativität im Gegensatz zur kommunistischen Einheitsdoktrin zu etablieren. Werke von Jackson Pollock, Robert Motherwell oder Willem de Kooning dienten als intellektuelles Exportgut, um das US-Image im Ausland zu stärken. „Das ist das gleiche, was die chinesische Regierung mit Ai Weiwei macht. Alles ein Spektakel, damit der Westen chinesische Kunst kauft.“

Und schon sind wir mittendrin in Diana Arces Welt. Die Arbeit der gebürtigen US-Amerikanerin, die seit 2004 in Berlin lebt, dreht sich um Themen wie Rassismus, Ausgrenzung, Forschung oder Genderfragen. Auch sie möchte Grenzen einreißen, allerdings nicht in Galerien. „Galerien sind homogene Orte, in denen sich großteils Menschen mit den gleichen Ansichten einfinden. Meine Zielgruppe für meine politischen Aktionen sind Menschen, die sich nicht für Politik interessieren“, erklärt sie.

„300 Leute haben versucht, Zitate der NSDAP oder der AfD zuzuordnen. Keiner hat mehr als 60% geschafft.“

Die erreicht sie beispielsweise mit Aktionen wie Politaoke, einer Art Signature Work, die sie seit 2007 kontinuierlich betreibt. Wie der Name vermuten lässt, funktioniert die Performance wie Karaoke, nur anstatt Musik laufen für die Mitmachenden politische Reden über den Bildschirm. Donald Trump statt Dancing Queen, Angela Merkel statt Guardian Angel.

Ein aktuelles Projekt ist die von ihr gegründete Plattform White Guilt Clean Up, „wo wir Aufklärung betreiben, aber auch subversive Aktionen umsetzen“, sowie das Non-Profit-Netzwerk Artists without a cause, das Künstler mit Vereinen für soziale Gerechtigkeit verbindet. Eine Weile prangte auf ihrem Klingelschild auch der Name „Schmidt“. Diana Arce hatte in einem Radiointerview die AfD als Nazis bezeichnet, danach gab es einige Hackerangriffe auf ihre Website und ein paar seltsame Anrufe.

„Wir hatten auch mal im Rahmen von Wählen gegen Rechts ein Spiel namens AfD oder NSDAP entwickelt. Dabei muss man Auszüge aus diversen Reden der jeweiligen Partei zuordnen. Von 300 Teilnehmern hat keiner mehr als 60 Prozent geschafft, auch Geschichtslehrer nicht“, so Diana Arce weiter, während ein Bildschirmschoner das seltsame Selfie schluckt. „Alice Weidel ist eine der Schlimmsten. Anzunehmen, sie könne keine Misogynistin sein, nur weil sie lesbisch sei, ist so, als würde man sagen, man könne als Schwarzer anderen Schwarzen nichts Schlimmes antun. Aber R. Kelly, Ben Carson oder der späte Kanye West? Machen genau das.“

Wer Kunst und Politik nicht trennt, trennt auch nicht Genuss und Geschmack. Diana Arce, die sich ihres Mango Chutneys rühmt, weiß um die qualitative Beschaffenheit von Drinks. Denn zufälligerweise fiel die Zeit, als sie nach Berlin kam, in die Frühphase der wegweisenden Victoria Bar, und zufälligerweise erfolgte ihre Cocktailsozialisierung durch einen gewissen Gonçalo de Sousa Monteiro, heute einer der weltweit respektiertesten Bartender überhaupt. „Ich habe ihm – Jahre später, als er schon sein Buck & Breck eröffnet hatte – auch die Idee ‚The Bartender is present‘ vorgeschlagen. Wie bei einer Performance von Marina Abramovic sollten sich die Menschen bei Gonçalo anstellen, und ohne zu sprechen, würde er ihnen den Drink vorsetzen, den er für richtig hält. Wir mochten das beide, aber Zeit und Ort haben nie gepasst.“

„Kurt Vonnegut hat auf einem Nachbar-College Vorlesungen gehalten, also habe ich wie er zwei Packungen am Tag geraucht.  Filterlose Pall Mall waren es zuvor schon.“

Kein Wunder also, dass sie kräftige Shortdrinks mag, so wie sie auch Gonçalo de Sousa Monteiro gerne interpretiert. Wir haben uns auch für einen kräftigen Drink entschieden, allerdings für eine fruchtige Variante. Eine Aromabombe mit Rhum Agricole, Marmelade vom weißen Pfirsich als Süßequelle und Kaffeegeist als überraschenden Gaumengast. Das Ergebnis haben wir nach Tiger und Fred, den beiden Mitbewohnern von Diana Arce, benannt: Two Rabbits.

„Der Cocktail fühlt sich beim Trinken leicht an, wirkt aber kräftig am Gaumen und hat eine sehr angenehme Textur“, diagnostiziert Diana Arce. „Nach dem ersten Sip in den Pfirisch zu beißen, hat dem ganzen noch einen kleinen Kick gegeben. Ich darf als Dominikanerin nur niemandem gestehen, dass ich Rum aus Martinique getrunken habe.“

Bürgerin der Dominikanischen Republik ist sie genau genommen jedoch nicht. Ihre Mutter ist in die USA emigriert, als sie mit ihrer Tochter schwanger war – ohne von diesem Umstand zu wissen. Diana Arce wurde in Alaska geboren und dadurch automatisch zur US-Bürgerin. Ihr Stiefvater stammt aus Peru und brachte drei Kinder in die Ehe ein (Diana Arce hat noch einen leiblichen, älteren Bruder), ihre Eltern sind somit Amerikaner, die an den Mythos des Einwandererlandes USA glauben, weil sie ihn am eigenen Leib erfahren haben und weitergeben; es sind Menschen, denen Donald Trump heute am liebsten eine Mauer aufstellen würde.

Beide sind später für die Regierung tätig, ihr Stiefvater auch für den Secret Service des Präsidenten. Aus jener Zeit stammt auch ein Foto an der Küchenwand, von dem es laut Diana Arce nur wenige andere Abzüge gibt. Es zeigt Bill Clinton vor dem Weißen Haus beim Waschen eines Autos, in Jeans, Turnschuhen und mit Gartenschlauch in der Hand. „Ich liebe dieses Bild. Es war kurz vor dem Ende seiner Präsidentschaft. Er wollte wohl üben, wie es sich anfühlt, normal zu sein.“

Tiger links, Diana rechts.

Diana Arce selbst absolviert das Hampshire College in Amherst, Massachusetts, wo sie ein Studium in Kulturwissenschaften und Experimenteller Film ablegt – aber eigentlich, wie die meisten Studenten, nach Vorbildern und Visionen sucht. Und die waren durchaus nicht alltäglich. „Kurt Vonnegut hat auf einem Nachbar-College Vorlesungen gehalten, an denen wir teilnehmen konnten. Also habe ich wie er zwei Packungen am Tag geraucht. Filterlose Pall Mall waren es zuvor schon“, erinnert sie sich lachend.

„Gäste, die in mein Studio kommen, haben immer diese Vorstellung vom verrückten Atelier, in dem es nach Farbe oder Film riecht. Aber bei mir gibt es meistens nur haufenweise Bücher und Post-Its.“

Es ist auch einer ihrer Professoren, „ein anarchischer, atheistischer Jurist““ der ihr 2001 rät, nach Berlin zu gehen. Diana Arce folgt der Anregung und findet ein neues Zuhause, studiert später an der UdK. Nur einmal noch unternimmt sie einen Versuch, in den USA zu leben, aber einige Monate in Los Angeles – „wo ich beinahe täglich überfahren worden wäre“ – machen ihr klar, dass der American Way of Life nicht mehr der ihre ist.

„Mir geht es in meiner Arbeit darum, eine Idee zu transportieren und die Menschen entscheiden zu lassen, was sie damit machen. Ich sage klar, worum es geht, und je tiefer ich in der Thematik vordringe, desto stärker vereinfache ich die Dinge“, erklärt sie ihre Arbeit. „Aktuell liegt politische Kunst wieder im Trend. Leider geht es dabei häufig mehr um die Ästhetik und weniger um den Inhalt. Ich beginne immer beim Inhalt und der Recherche. Gäste, die in mein Studio kommen, haben immer diese Vorstellung vom verrückten Atelier, in dem es nach Farbe oder Film riecht. Aber bei mir gibt es meistens nur haufenweise Bücher und Post-Its an den Wänden. Meine Projekte dauern sechs Monate bis eineinhalb Jahre, die eigentliche Arbeit entsteht aber erst am Ende in sechs bis acht Wochen“, meint Diana Arce. „Dann ist es hier am interessantesten für Besucher.“

Das allerdings stimmt nicht ganz. Es ist auch so verdammt interessant hier; bei Schmidts, zwischen zwei Hasen, Bill Clinton und 21 Stühlen.