Sprayer, Maler, Regisseur – Raphael Grischa hat viele Gesichter. Was sie alle eint und was das mit Tieren zu tun hat, klären wir bei einem Rapha’s Delight.
Es gibt eine Bilderserie von Raphael Grischa, die nennt sich Monkey on your back. Mit dieser spielt der Schweizer Künstler darauf an, wie sehr sich der Mensch mit unnötigen Dingen belastet, vor allem in unserer Wohlstandsgesellschaft.
Es war auch ein Bild dieser Serie, das er dem 91-jährigen Mentor seines Vaters gezeigt hatte, als er ihn zum letztenmal vor dessen Tod gesehen hatte. Dieser war ein Neffe von Aldous Huxley und trank, wie Raphael Grischa beeindruckt hinzufügt, trotz seines hohen Alters „noch jeden Tag Whisky und rauchte seinen Joint. Er hat das Bild gewürdigt. Es war ein Moment, der für mich sehr tief ging.“
Ob Affen, Löwen, Vögel, Schmetterlinge oder Eichhörnchen, Tiere sind das derzeitige Lieblingsmotiv von Raphael Grischa. Er verewigt sie überlebensgroß auf Häuserwänden oder in kleinerer Version mit Acryl auf Tischlerplatten oder Tapeziertischen.
Bevor aber eine falsche Vorstellung entsteht: Raphael Grischa ist kein Graffiti-Artist. Das wäre etwas kurz gegriffen. Anfang des Jahres hatte er seine erste Einzelausstellung namens Animal Kingdom in Stuttgart. Er dreht auch Videos, wo er Geldmaschinen wie Kätzchen schnurren lässt, und macht Art-Work. So hat er beispielsweise den Raben geschaffen, der Raf Camora seit einigen Jahren auf dessen kometenhaften Aufstieg begleitet, für dessen neues Musikstudio in Berlin-Moabit hat er ebenfalls ein Gemälde beigesteuert. Natürlich einen Raben.
Das kommt auch nicht von ungefähr. Graffiti und Hip-Hop haben Raphael Grischa geprägt, seit er als Jugendlicher das – nicht nur für ihn, sondern für den gesamten deutschen Hip-Hop – wegweisende Album Blauer Samt von Torch gehört hat. „Begonnen hat es mit Graffiti“, sagt er. „Nichts lässt dich freier fühlen, als wenn du illegal sprayst, und sei es nur taggen bei Nacht. Die Hardcore-Graffiti-Szene ist schon unantastbar, und ich bin stolz, dass ich heute auch Respekt aus dieser Szene bekomme. Ich habe mich nie festgelegt, ob nun legal oder illegal. Viele fanden es gut, in der Szene zu sein, hatten aber nicht die Eier, illegal raus zu gehen. Ich habe mich aber immer von fixen Vorstellungen frei gemacht.“
Es kommt auch nicht von ungefähr, dass es vermutlich wenige Menschen gibt, die Graffiti, Aldous Huxley und Raf Camora mühelos in einem Atemzug unterbringen können. Raphael Grischa kann das, und es klingt keine Sekunde nach Namedropping. „Wenn man aus dem Mittelstand kommt, ist es ein Privileg, Kunst zu machen. Vielleicht nimmt man sich auf diese Weise aus dem sicheren Netz heraus, das sich die Eltern aufgebaut haben, und begibt sich in ein unsicheres hinein.“
„Ich habe schon ein Händchen für den Rausch.“
Sein Netz erstreckt sich mittlerweile über die ganze Welt, sein Lebensmittelpunkt ist jedoch Berlin; Neukölln, um genau zu sein, wo er stilgerecht in einem Haus mit Späti lebt, der „in den fünf Jahren, in denen ich hier wohne, nicht ein einziges Mal geschlossen war.“ Als er damals nach Berlin kam, wirkte er noch großteils unter seiner zweiten Identität iHAD, abgeleitet von den Initialen des berühmten Martin-Luther-King-Spruches I have a dream.
Dieses Pseudonym hat er nun weitgehendst abgestreift und ist bei Raphael Grischa angekommen. Also bei sich. Was nicht heißt, dass die Reise vorbei ist. Im Gegenteil: Sie geht gerade erst los. „Die Tiere haben sich aus dem Wild Style meiner Graffiti-Zeit entwickelt. Ich werde aber bestimmt nicht mein Leben lang Tiere malen“, meint er. „Damit würde ich mich einschränken.“
Viel hätte nicht gefehlt, und wir würden gar nicht mit Raphael Grischa selbst sprechen. Sondern mit einem Model oder jemand anderen, den er als Inszenierung vor die Kamera gebeten hätte. Er hatte die Idee, sich von einem Stand-In spielen zu lassen, das er durch die Aufnahme dirigiert hätte.
„Aber ich wollte nicht respektlos wirken“, sagt er. „Und der Drink hat mich auch interessiert.“ Er grinst; steckt sich eine Zigarette an. Es ist die erste nach der Dusche, aus der er gerade gesprungen kam. Da passt unser mit Sloe Gin und Rosmaringeist gepimpter und mit Soda getoppter Drink durch seine leichte Spritzigkeit bestens.
„Ich feiere Pisco Sour und empfehle den auch gerne Freunden in einer Bar. Ich mag Drinks mit Eiweiß, und da ich seit Kurzem auch Sport mache, ist das sozusagen the best of both worlds“, meint Raphael Grischa auf eine Art, in der sehr wohl Ironie mitschwingt, aber auch ein Quäntchen Glaube. „Ich habe schon ein Händchen für den Rausch. Früher noch mehr, heute in Maßen. Unlängst hatte ich die Diskussion, ob man als Künstler ständig auf Drogen sein müsse, um an die Grenzen zu gehen. Ich weiß nicht, warum dieses Klischee für viele Menschen noch immer so wichtig ist. Ich kann nicht ernsthaft arbeiten, wenn ich getrunken habe.“
Mit dabei ist trotzdem jemand anders: Wadda Salah Eldin, in Berliner Hip-Hop-Kreisen kein Unbekannter. Wadda Salah Eldin, der einst Diplomat werden wollte und fünf Sprachen spricht, hat das Online-Musikmagazin 16bars nach vorne gebracht, gewann 2015 für das Videoformat „Shore, Stein, Papier“ den Grimme Online Award und ist bzw. war bzw. ist prägend involviert in das Berliner Label Immer.Ready. Er sitzt rauchend am Laptop und sucht ein Foto von sich; nicht in einem Desktop-Ordner, sondern auf Google Earth. Es ist ein Bild von seinem eigenen Konterfei, das Raphael Grischa auf eine Hauswand in Venice Beach gemalt hat, um die Ecke des bekannten Venice Sign.
„Egal an welchem Ort, Raphael hat die Gabe, die Menschen mit einzubinden.“
„Ich habe nach einer Trennung von meiner Ex auf der Couch geschlafen“, erklärt Wadda Salah Eldin. Pause, Rauch ausstoßen, am Rapha’s Delight trinken, den wir natürlich auch ihm serviert haben. „Raphael war in L.A., wir haben telefoniert, und danach hat er dieses Foto von meinem Gesicht auf der Wand geschickt. Das musste ich mir natürlich anschauen. Also bin ich nach Kalifornien und wir hatten eine Wahnsinnszeit. Da ist vieles entstanden.“
Zwei Motive von Raphael Grischa beispielsweise, für die er ein Zertifikat der Stadt Los Angeles verliehen bekommen hat; vor allem aber die Idee für Cartel Blanche, eine Plattform, mit der die beiden freie Künstler zu spontanen Kollaborationen verbinden wollen; Leute, die wie sie ständig in Bewegung sind und nicht zwanzig Freigaben für eine Idee brauchen. „Egal an welchem Ort, Raphael hat die Gabe, die Menschen, die dort sind, mit einzubinden“, sagt Wadda Salah Eldin, der sich selbst als Netzwerkmanager bezeichnet. „Das wirkt manchmal wie Improvisation, ist aber eigentlich keine Improvisation, weil er weiß, was passieren wird und zulässt, wenn es eintritt.“
Wie die beiden da sitzen, stehen und reden, zeigt von der Vertrautheit, die Menschen haben, die sich vorbehaltlos als beste Freunde bezeichnen. Sie diskutieren, ob es Elon Musk oder doch der Gründer von Alibaba war, der vor einer Versammlung von Ölscheichs gemeint hätte, dass die Hälfte der Jobs, von denen sie hier sprechen würden, in zehn Jahren nicht mehr existieren würden, oder erinnern sich im nächsten Augenblick an Trips in die kalifornische Wüste.
„Man sollte immer ein aktives Leben führen.“
„Vor dreißig Jahren bestanden Computerspiele aus zwei Balken und einem pixeligen Viereck. Die technische Entwicklung war so enorm, dass es diese Philosophie in der kalifornischen Start-up-Szene gibt, wir würden bereits in einer Simulation leben. Und wenn es so wäre, geht es im Leben darum, dass dein System nicht abkackt“, so Raphael Grischa. „Nicht, dass ich das glaube. Aber was ich glaube: Man sollte immer ein aktives Leben führen.“
So geht es weiter im Dialog zwischen den beiden, der keinem Kalkül zu folgen scheint; ein Ping-Pong zwischen Freigeistern, die wissen, wie sich monetäre Industrie und menschliche Inspiration verketten, die jedoch nicht vorhaben, sich vereinnahmen zu lassen. Sondern immer in Bewegung sind.
Es wäre jedenfalls keine Überraschung, wenn jederzeit eine Nachricht eintreffen würde, dass in zehn Minuten zwanzig Sprayer aus Barcelona die Wohnung entern, ein befreundeter Rapper in zwei Tagen ein Video braucht oder eine Wand auf Raphael Grischa wartet. Vielleicht denke ich das aber auch nur, weil wir selbst schon zwei Drinks intus haben und der Moment einen euphorischen Anstrich bekommt. Mit dem Gefühl aufzuwachen, dass man nicht genau weiß, wo und wie der Tag enden könnte, empfinden jedenfalls manche als Bedrohung; andere empfinden gerade das als Freiheit.
Man hat den Eindruck, dass Raphael Grischa und Wadda Salah Eldin sehr freie Menschen sind.
Fotos: Martin Mai